Dienstag, 30. November 2010

Die FIFA und ihre alte Geldmaschine

Die FIFA in Aufruhr, und ich bin sicher nicht der einzige, der sich wünscht, dass Wikileaks mal einen Blick auf die verbandsinterne Kommunikation wirft. Zu den Hintergründen der ISL-Geschichte finden sich in meiner WM-Enzyklopädie 1930-2014 (696 Seiten, 49,90 Euro, Agon Sportverlag, ISBN: 978-3-89784-380-6) übrigens zwei Artikel, die ich nachstehend mal kommentarlos aufliste:

WM 1990: Die Geldmaschine
Im April 1987 trug die FIFA Trauer und sah mit bangem Blick in die Zukunft. adidas-Chef Horst Dassler, jene Person, die laut »FIFA-News« “die Gegenwart des Sports und die Kommerzialisierung und Professionalisierung des Sports maßgeblich geprägt hat”, war im Alter von nur 51 Jahren an Augenkrebs verstorben und hatte ein Machtvakuum hinterlassen, das die FIFA in Turbulenzen zu stürzen drohte. Zur Vorgeschichte: Der vom Herzogenauracher Stammhaus mit dem Aufbau einer adidas-Dependance in Frankreich beauftragte Dassler hatte seit Mitte der siebziger Jahre ein ebenso erfolg- wie einflussreiches Imperium aufgebaut, das nur noch vordergründig mit Sportbekleidung und -geräten handelte. Wichtiger waren die Vermarktung weltweiter Sportveranstaltungen wie Olympischer Spiele und Fußball-WMs sowie der Rechtehandel. Dass-ler und die FIFA hatten 1974 zueinander gefunden. Eigentlich hatte Dassler seinerzeit Havelanges Kontrahenten Rous bei der Wahl zum FIFA-Präsidenten unterstützen wollen, war jedoch von dem Brasilianer mit der Aussicht auf lukrative weltweite Vermarktungsmöglichkeiten umgestimmt worden. Havelange und Dassler bildeten rasch ein kongeniales Duo, das sich perfekt ergänzte: Der stolze, zur Selbstinszenierung neigende Havelange, und der bescheiden, aber bestimmt auftretende, stets etwas im Hintergrund wirkende Dassler. Letzterer erkannte rasch, was für ein schlummerndes Marketingpotenzial die FIFA (und das IOC) aufwiesen und sah lange vor allen anderen, dass sie ihre guten Positionen in Zeiten des schwindenden Amateurismus und der wachsenden Professionalisierung bzw. Kommerzialisierung sogar noch weiter würden ausbauen können. Das passte perfekt zu João Havelanges Vorstellungen, denn der Brasilianer brauchte dringend Geld, um seine Wahlversprechen erfüllen zu können. Er war also durchaus bereit, den Fußball zu “verkaufen”. Dassler griff sofort zu und erwies sich anschließend als geschickter Fädenzieher im Hintergrund, der nach und nach alle wichtigen Positionen in der FIFA (und dem IOC) mit ihm “genehmen” Personen besetzte. Eine seiner “Entdeckungen” war Sepp Blatter, den er der Swiss-Timing-Longines abwarb und nach einem kurzen Einführungsseminar in der adidas-France-Zentrale im elsässischen Landersheim auf den Sessel des FIFA-Generalsekretärs bugsierte. Die entscheidenden Strukturen wurden zwischen 1974 und 1978 geschaffen, wobei als Dritter im Bunde der britische Sportrechte-händler Patrick Nally auf den Plan trat - er hatte das nötige Geld, und er hatte vor allem Kontakte. Durch Nallys Vermittlung kam beispielsweise die lukrative Verbindung zu Coca Cola zustande.


1982 schließlich kam es zur Gründung der Marketingfirma ISL (“International Sports, Culture- und Leisure Marketing AG), die im schweizerischen Luzern ansässig war und sich die Vermarktung von Großereignissen an die Fahnen geheftet hatte. ISL-“Mutter” war übrigens die Rofa-Sport Management AG - jene Firma, über die der langjährige FIFA-Generalsekretär Käser gestolpert war, ehe er von Sepp Blatter abgelöst wurde... ISL gehörte zu 51% adidas und zu 49% der Werbeagentur Dentsu, adidas’ japanischem Partner... Erster ISL-Coup war - wenig überraschend - die Vermarktung der WM 1982, ehe 1983 erstmals ein Vertragsabschluss mit dem IOC über die Vermarktung der Olympischen Spiele gelang. Das ISL-Angebot in Form von umfangreichen Marketing-Exklusivpaketen (ausschließlich für sehr solvente Firmen) kam bei den potenziellen Sponsoren ausgezeichnet an und verschaffte Dassler bemerkenswerten Einfluss und Machtfülle, die er vor allem durch persönliche Kontakte pflegte - nach Ansicht von Kritikern enthielt die ISL-Datei auch sehr persönliche Vorlieben seiner Vertragspartner... Mit Aufkommen der privaten TV-Sender erhielt die ISL-Strategie eine unerwartete Eigendynamik. Während die Sportartikelfirma adidas (also die Herzogenauracher) immer tiefer in die Krise rutschte - das Wirtschaftsmagazin »Forbes« mutmaßte im Juni 1990, das Unternehmen habe im Jahr 1989 zwei Mio. DM Verlust gemacht -, war die ISL - nach Dasslers Tod vom Schweizer René Jäggi geführt - kaum noch zu bremsen und hängte 1990 erstmals sogar die FIFA ab. “Der Chef der Sportartikelfirma adidas weiß nur zu gut, dass sein Unternehmen eine Weltmeisterschaft schon gewonnen hat - die WM im Kassieren. Über einen Umweg mit dem Kürzel ISL”, teilte der »kicker« seinen Lesern unter der Überschrift “Milliarden-Reibach” im Juni 1990 mit. Auf rund 300 Mio. sFr schätzte derweil »Forbes« die ISL-Einnahmen allein im Zusammenhang mit der WM 1990 - damit habe, so das Blatt, “die ISL besser verdient als die FIFA”. Aus Zürich kamen moderate Töne - man sei “zufrieden”, hieß es, weil man alles in “besten Händen” wisse. Hintergrund war, dass die ISL der FIFA 1982 aus einer eklatanten Finanzklemme geholfen hatte und im Gegenzug die Marketingrechte bis 1998 für einen Spottpreis von ganzen 340 Mio. sFr erhalten hatte. Drei Jahre nach Dasslers Tod holte Havelange nun die Vergangenheit ein. Fortsetzung folgt ... auf Seite 494.





und hier ist nun Seite 494:
WM 2002: Pleite einer Geldmaschine

Eines der größten Probleme der FIFA zur Jahrtausendwende und auch Mitverursacher für die tumultartige Präsidentenwahl unmittelbar vor dem WM-Turnier trug drei Buchstaben: ISL. Rund ein Jahr vor dem WM-Start meldete der anno 1982 von Horst Dassler bzw. adidas ins Leben gerufene und seinerzeit recht günstig in den Besitz der Marketingrechte für die WM-Turniere 1982-94 gekommene (siehe WM-Thema Seite 373) Rechtevermarkter International Sport, Culture and Leisure AG Konkurs an und stürzte damit zugleich den Weltverband ins Chaos. Bei “Ausflügen” in andere Sportarten war ISL kräftig auf die Nase gefallen und hinterließ ein brisantes Problem, da sich die FIFA nicht nur blitzschnell selbst um Sponsorenverträge etc. kümmern musste, sondern zugleich diverse Vorgänge aus der Vergangenheit zu erläutern hatte.


Ein Blick zurück: Lange Zeit war die Liaison ISL/FIFA eine Traumstory. Horst Dassler und João Havelange verstanden sich prima und andere Vermarkter klopften vergeblich an der FIFA-Tür an: Geschlossene Gesellschaft. Auch als ISL-Gründer Dassler 1987 starb, blieb die Verbindung intakt und die FIFA bestätigte, ISL verfüge über sämtliche Marketingrechte bis einschließlich zur WM 1998, für 2002 gäbe es eine Option. ISL-Stammfirma adidas befand sich seinerzeit jedoch in einer prekären Situation. Man hatte das Aufkommen moderner und progressiv vorgehender Konkurrenten wie Nike, Reebok oder Umbro verschlafen und schrieb plötzlich rote Zahlen. Grund genug für die vier Dassler-Schwestern, sich bis Ende 1990 von rund 80% des adidas-Impiriums zu trennen. Ableger ISL (adidas hielt 51%, der Rest lag beim japanischen Partner Dentsu), der den eher am reinen Geschäft interessierten und auf “diplomatischem” bzw. “lobbyistischem” Parkett reichlich unbedarften Dassler-Schwestern ohnehin etwas suspekt war, wurde ausgegliedert, wobei einer der Dassler’schen Ehemänner die Leitung der entsprechenden Holdinggesellschaft erhielt: Jean-Marie Weber, ein enger Vertrauter des verstorbenen Dassler.

Derweil adidas anschließend durch diverse Hände ging - unter anderem die des Politikers und Olympique-Marseille-Chefs Bernard Tapie - geriet ISL in turbulentes Fahrwasser, denn schon kurz darauf verließen mit Direktor Klaus Hempel und Jürgen Lenz zwei Schlüsselfiguren das Schiff und zogen einen eigenen Vermarkter auf: TEAM. Damit begann eine unangenehme Zeit für ISL und FIFA. TEAM präsentierte der UEFA ein fundiertes Konzept für einen reformierten Landesmeisterpokal und legte damit den Grundstein für die Champions League, deren erfolgreiche Vermarktung man sogleich selbst übernahm. Nachdem UEFA-Boss Johansson dadurch mit eigenen Augen sehen konnte, welche Einnahmen mittels eines derartigen Großereignis möglich waren, wurde er neugierig und begann, die FIFA-Kontrakte mit ISL zu untersuchen. Rasch wurde deutlich, dass sich die FIFA von ISL, wie schon seit langem kolportiert, in der Tat ziemlich über den Tisch hatte ziehen lassen. Oder aber bereitwillig über den Tisch gekrabbelt war, wie Kritiker vermuteten... Für nur 340 Mio. Schweizer Franken waren die Marketingrechte für die WM-Turniere 1990, 1994 und 1998 an ISL gegangen - eine Summe, die die UEFA mit der Champions League in nur einer Saison aufbrachte und die die Nachrichtenagentur »dpa« als “größte Fehlkalkulation der Sportgeschichte” bezeichnete. Die Skepsis auf Seiten der europäischen Gegner der Führungspolitik des damaligen FIFA-Präsidenten Havelange wuchs - und weil sein Generalsekretär Sepp Blatter die Verträge mit unterzeichnet hatte, geriet auch er in der Kritik. Dessen ungeachtet blieb die FIFA unter Havelanges Führung der ISL aber treu ergeben und schanzte ihr auch weiterhin unter bisweilen recht fragwürdigen Umständen die Rechte zu - u.a. für die WM-Turniere 2002 und 2006. Erst als Havelange 1998 seinem drohenden Sturz durch freiwlligen Rückzug zuvorkam, sank der ISL-Stern allmählich, und die FIFA öffnete sich für andere Vermarkter. Darunter war auch der deutsche Medienmogul Leo Kirch, der in diversen “Verkleidungen” (u.a. in Form der von ehemaligen ISL-Mitarbeitern gegründeten Agentur “Prisma”) auftrat und im Bereich der TV-Rechte für 2002 bereits gemeinsam mit ISL in einem Boot saß. Der ISL drohte mit der FIFA ein elementarer Geschäftspartner wegzubrechen und man wandte sich anderen Sportarten zu, ließ es dabei allerdings sowohl an inhaltlicher Kompetenz als auch an finanziellem Background mangeln. Ein hoch dotierter Zehn-Jahres-Vertrag über die ATP-Tennis-Turnier-Serie leitete schließlich das Aus durch Finanztod ein.

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